Beyond Buzzwords: IT-Trends im Einkauf 2022

Dies wird kein typischer Beitrag zum Jahresbeginn, der sich in die Beitragsreihe zur allseitigen Wiederholung von Trends und Buzzwords einreiht. Viel mehr möchte ich mich in kurzen Worten mit diesen vermeintlichen Heilsbringern für den Einkauf auseinandersetzen. Dabei stelle ich dar, was aus meiner Sicht tatsächlichen Mehrwert schafft – und wo dieser zumindest aktuell noch rein theoretischer Natur ist.

Doch eins nach dem anderen. Innerhalb welcher Rahmenbedingungen startet das Jahr 2022?

Es ist immer noch und auf nicht absehbare Zeit geprägt von Unsicherheiten in den Lieferketten. Die gesamtwirtschaftliche Situation leidet unter Unwägbarkeiten wegen unvorhersehbaren Ereignissen wie neuen Corona-Varianten.

Gleichzeitig ist in Unternehmen das Bewusstsein um die Wichtigkeit digitaler Lösungen stark gestiegen, trotz der Verteilung von Teams an verschiedenen Standorten in der gesamten Welt und der Umstellung auf Home-Office läuft das Geschäft weiter.

Umfeld für Einkaufsabteilungen

Durch die Lieferkettensituation und den verstärkten Fokus auf die Digitalisierung interner Prozesse wurde der Einkauf in den letzten zwei Jahren zu einem immer entscheidenderen Akteur im Unternehmen.

Waren Einkaufsabteilungen in der Vergangenheit häufig lediglich operative Bestellabwickler, so arbeiten sie nun immer strategischer und mit größerer Visibilität im Unternehmen. Bislang vernachlässigte Digitalisierungsinitiativen werden nachgeholt. Das lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass das Start-Up-Umfeld im Einkaufsbereich immer weiter wächst – „ProcureTech“ hat sich als Begriff und als eigenes Marktumfeld herausgebildet.

An dieser Stelle gilt es zu unterscheiden, welche Trends lediglich Buzzwords sind oder zu pauschal um für Einkäufer wirklichen Mehrwert zu schaffen. Dazu möchte ich zwei solcher Trends beispielhaft herausgreifen.

„RPA und KI“

Häufig lässt sich hören, dass mithilfe von RPA (Robotic Process Automation) – und künstlicher Intelligenz in einem Atemzug – schon bald deutlich weniger Ressourcen im operativen Einkauf benötigt werden. Die Konnotation: es gibt schon Bots, die das alles erledigen.

Schaut man jedoch in die Praxis und auf die konkreten Anwendungsfälle, so fällt schnell auf, dass diese vermeintlich intelligenten Bots in den wenigsten Fällen automatisiert und schon gar nicht reibungslos arbeiten.

Das liegt nicht daran, dass eine Automatisierung von vielen Prozessen wie etwa der Bestellanlage, Stammdatenzuordnung oder Rechnungsverarbeitung nicht perspektivisch möglich ist. In der Praxis sind Algorithmen für diese Anwendungsfälle jedoch komplex und bedürfen sorgfältigem Training und Monitoring.

Das beste Beispiel: das automatisierte Einlesen von Rechnungen per OCR und anschließendes Verbuchen. Dieser auf den ersten Blick einfache Prozess ist von vielen einzelnen Faktoren abhängig. Zum Beispiel: wo steht die Bestellungsnummer bei Lieferant X im Vergleich zu Lieferant Y? Selbst nach längerem Beschäftigen mit diesem Use-Case tun sich Bots immer noch schwer. Für den Erfolg ist das Trainieren und Definieren der Regeln durch qualifizierte Mitarbeiter ausschlaggebend.

Die Erkenntnis daraus: häufig wird allein aus der Richtung der Technologie gedacht und in Trends argumentiert. Was fehlt, sind die dafür erforderlichen Grundlagen wie sauber abgegrenzte Anwendungsfälle und gute Unternehmensdaten für das Training der Algorithmen.

Zudem sind viele Prozesse im Einkauf nicht mit reiner Automatisierung zu lösen. Exemplarisch lässt sich die Bearbeitung einer Freitextanforderung heranziehen. Diese muss von Einkäufer:innen interpretiert werden: worum handelt es sich eigentlich genau? Welche Lieferanten kommen infrage?

Somit ist es nicht mit den Buzzwords RPA oder KI getan, viel mehr ist die sinnvolle Kombination von einkäuferischem Know-how und diesen Technologien gefragt. Aus meiner Sicht wird der Trend weg von reiner Automatisierung per RPA gehen, hin zu einer Decision Automation mit mehr Intelligenz und der Möglichkeit maschineller Interpretation eines Sachverhalts. Hier ist aber noch ein weiter Weg zu gehen.

„Daten sind das neue Öl“ und „datenbasierte Entscheidungen“

Jeder hat die Phrase „Daten sind das neue Öl“ inzwischen mehr als oft genug gehört. Die Erwartungshaltung liegt darin, dass Mitarbeiter im Unternehmen ohne Weiteres bessere Entscheidungen treffen können, wenn sie nur vorher auf die eigenen Daten schauen.

Das Potenzial hinter datengetriebenen Prozessen und datenbasierten Entscheidungen ist unzweifelhaft vorhanden. Zum einen, wenn es darum geht, gruppenweit auf einheitlichen Standards historische Daten auszuwerten und gute Rückschlüsse daraus zu ziehen. Zum Beispiel können Lieferantenstrukturen konsolidiert oder gruppenweite Bündelungspotenziale gezogen werden. Darüber hinaus bieten auch Forecast-Werte großes Potenzial für Strategieentwicklung und Budgetplanungen.

Doch auch bei diesem Trend wird man in der Praxis sehr schnell von der Realität eingeholt. Schaut man sich heute vorliegende Daten an, so wird sehr schnell klar, dass die Qualität häufig nicht ausreichend für gute und tiefgehende Analysen ist. Insbesondere bei Rechnungsdaten gibt es entweder gar keine inhaltlichen Beschreibungen oder eine sehr schlecht oder oberflächlich gepflegte Klassifizierung/Warengruppenzuordnung. Auf dieser Basis sind gute und valide Analysen nicht möglich.

Es reicht also nicht aus, einfach ein Spend-Analyse Tool zu lizenzieren und loszulegen. Die größten Herausforderungen liegen nicht in der Visualisierung von Daten, sondern in dem dahinterliegenden Qualitätsproblem. Zudem gibt es intern häufig nicht genügend Know-how, um die gewonnenen Erkenntnisse zu interpretieren und in sinnvolle Maßnahmen und Initiativen zu übersetzen.

Darüber hinaus sind natürlich auch die richtigen Tools zur Datenanalyse entscheidend, denn nur wenn dies so nutzerfreundlich wie möglich ist wird es im Alltagsgeschäft wirklich konsequent genutzt.

Viele Unternehmen machen aktuell Erfahrungen damit, wenn diese Tools nicht einfach zu nutzen sind. Einkaufsmitarbeiter:innen versuchen dann in eigenen Excel-Tabellen mit mühsamen Stunden an Arbeit die Daten für eine einzelne Auswertung aufzubereiten. Das macht keinen Spaß und ist schon gar kein sinnvoller Einsatz von Ressourcen.

Das Gesamtpaket aus guter zugrundeliegender Datenqualität, IT-Kenntnissen, fachlichem Wissen zur sinnvollen Nutzung von Analysen und Tools muss also stimmen. Ohne diese strukturellen und methodischen Änderungen in der gesamten Arbeitsweise sind Daten eben nicht das neue Öl, sondern lediglich Bytes auf Festplatten, deren Potenzial ungenutzt bleibt.

Fazit: Die Grundlagen müssen geschaffen werden. Dies ist nur mit einem funktionierenden und guten Business-Case möglich.

Die beiden beschriebenen Trendbereiche haben eine Erkenntnis gemeinsam: Es klingt zunächst vielversprechend. Bei der realistischen Detailbetrachtung und praktischen Umsetzung wird es aber schnell kompliziert, wenn die Grundlagen fehlen.

  • Was nutzen die besten Bots, wenn die Ergebnisse des Durchlaufs falsch sind oder „smarte“ Empfehlungen komplett daneben gehen?
  • Was nützt ein schön visualisierter Forecast für die Entwicklung einer Warengruppe, wenn dein Unternehmen in Wahrheit 50% geringeren Spend in dieser Warengruppe hat als die Basis für den Forecast angenommen hat?
  • Was nutzen ABC-Analysen für meine Lieferanten, wenn ich nicht genau sagen kann welche Artikel von diesen Lieferanten bezogen wurden?

Mein Fazit für 2022 (und wahrscheinlich auch noch darüber hinaus) liegt darin, dass zunächst Grundlagen geschaffen werden müssen. Einkaufsteams und die Geschäftsleitung müssen davon überzeugt sein, dass die technologischen Helfer die sie einsetzen zuverlässig sind und valide Ergebnisse liefern.

Wie lässt sich nun an den Grundlagen arbeiten, um auch für die Zukunft gut aufgestellt zu sein und das Beste aus den technologischen Möglichkeiten zu machen?

Aus meiner Sicht geht das nur, wenn ein guter Business-Case dahinter steht. Nur so wird es das nötige Backup der Geschäftsführung für Digitalisierungsinitiativen geben und für Einkaufsteams Spaß machen. Es bringt also zum Beispiel nichts einmalig in stundenlanger Arbeit die Datenqualität für die Anwendung von RPA, KI und Datenanalysen zu optimieren. Vielmehr muss dies auf eine intelligente Weise geschehen, die das Problem nachhaltig löst und mit geringst möglichem Aufwand verbunden ist.

Zu dem guten Business Case gehört es auch, Mehrwerte die schnell entstehen zu nutzen und für das Unternehmen profitabel einzusetzen. Diese „low hanging fruits“ fungieren als Leuchtturmprojekte und sind die Basis dafür jeden im Unternehmen zu überzeugen diesen Weg weiterzugehen.

Es lohnt sich also, mit den Grundlagen zu beginnen und in kleinen Schritten voranzugehen. Diese kleinen Schritte sollten bei den größten Potenzialen beginnen und auf eine nachhaltige Lösung des Problems gerichtet sein.

So wird 2022 nicht zu einem Buzzword-Trend-Jahr, sondern zum wirklichen Enabler für die Nutzung von digitalen Lösungen im Einkaufs-Umfeld!

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